Seit nun einem ganzen Monat befindet sich dieser Beitrag unvollendet auf meinem Laptop, denn ich fand einfach keine Zeit ihn fertig zu stellen. Und das wohl aus dem schönsten Grund, den ich mir vorstellen kann: unserem zweiten Sohn, der unsere Wohnung mit so viel Leben füllt. Der dieses Mal gesund in unseren Armen liegt und den wir endlich mit nach Hause nehmen durften. Diese Geschichte will ich schon lange Zeit erzählen. Es ist die Geschichte unseres Regenbogenbabys.
Teil 1. Davor.
Die Geschichte unseres Regenbogenbabys beginnt für mich schon viel früher, als am Tag seiner Entstehung. Wenn ich mir mein Ich aus dem Herbst 2019 in Erinnerung rufe, habe ich eine vollkommen traurige Person vor Augen. Ich versuchte nach Bastians Tod irgendwie weiterzuleben, aber mittlerweile waren mehr als zwei Jahre vergangen und ich fühlte mich immer noch von Kopf bis Fuß mit Schmerz erfüllt.
Im April 2019 verkroch ich mich nur mehr unter der Bettdecke und konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Langsam verstand ich wirklich garnichts mehr. Ich war wieder nicht schwanger geworden und niemand konnte mir sagen warum. Auch der dritte Versuch unserer PID (Präimplantationsdiagnostik) endete in einem negativen Ergebnis. Alles, einfach alles, war umsonst. Wir hatten doch so viel Hoffnung gehabt.
Ich erinnere mich an die nachfolgenden Monate, in denen ich mich immer noch fühlte wie ein verzweifelter Schatten meiner Selbst. An das schmerzhafte Gefühl der Leere, das die Sehnsucht nach einem Kind in mir auslöste. Ich war komplett eingenommen von der Angst, für immer kinderlos zu bleiben.
Ich denke an das Gefühl, eine Versagerin zu sein. Scheinbar brachte ich es einfach nicht auf die Reihe. Scheinbar wurde jeder problemlos schwanger, mit dem ersten, zweiten, dritten oder was weiß ich wievieltem gesunden Kind und wir standen aller Bemühungen zum Trotz immer noch mit leeren Händen da. Der Sinn nach ausgleichender Gerechtigkeit machte mich wahnsinnig.
Zusätzlich wurde einem von der Gesellschaft meiner Meinung nach ständig vermittelt man wäre umso "wichtiger" und "wertvoller", je mehr Kinder mehr hatte. So viele schienen sich nur über ihre Kinder zu definieren und ich hatte bereits davon abgefärbt.
"Was bin ich wert?", fragte ich mich. In meiner Weiblichkeit wohl nicht viel. Das wofür mein Körper geschaffen ist, funktioniert nicht.
Ich, 33, kinderlos, wertlos.
Abgesehen vom gesellschaftlichen Zwang, der mich nicht losließ obwohl ich ihm keine Bedeutung schenken wollte, dominierte mich jedoch schlicht und einfach mein Wunsch, das Mamasein in all seinen Facetten endlich er- und ausleben zu dürfen. Ich hatte eine solche Sehnsucht nach einem Kind.
Nach dem negativen Schwangerschaftstest im April 2019 entschieden mein Partner und ich, der Kinderwunschklinik den Rücken zuzukehren. Wir waren nicht nur viel Geld losgeworden, sondern ich auch meine ganze Hoffnung.
Im Sommer 2019 stellte ich auf meinem Handy ein neues Hintergrundbild ein:
"Mit Mut fangen die schönsten Geschichten an", stand da. Ich brauchte es als inneres Credo für die kommende Zeit. Ich hoffte so sehr, dass der Mut, den wir jetzt brauchen würden in einer schönen Geschichte enden würde, nicht in einer Tragödie.
Wir hatten aufgehört zu verhüten.
Zu 75% hatten wir die Chance auf ein gesundes Kind.
Zu 25% die auf ein nächstes Kind mit Smith-Lemli-Opitz-Syndrom.
Wir hatten bis jetzt nichts riskiert und wo standen wir jetzt? Bei Null. Was soll jemandem noch passieren, der sowieso schon am Boden ist? Dieser Gedanke ging mir ständig durch den Kopf.
Die ersten Monate wurde ich nicht schwanger. Mein Hormonhaushalt war durch die künstliche Befruchtung völlig aus dem Gleichgewicht. Nach der Hormontherapie über einen Zeitraum von neun Monaten fühlte ich mich auch körperlich wie ein Häufchen Elend.
Im Oktober 2019 zeigte kein einziger der Ovulationstests, die bereits zu meinen ständigen Begleitern geworden waren, positiv an. Scheinbar hatte ich jetzt nicht einmal mehr einen Eisprung. Meine Frustration war am Höhepunkt.
Doch die nächste Periode setzte nie ein. Lange Zeit traute ich mich nicht einen Schwangerschaftstest zu machen und zögerte es tagelang hinaus. Ich ertrug einfach kein negatives Ergebnis mehr. Als meine Periode nach 42 Tagen immer noch nicht eingesetzt hatte, machte ich einen Test. Er war positiv.
Teil 2. Danach.
Wie ergeht es einem mit einem positiven Schwangerschaftstest, wenn man nicht weiß, ob man dieses Kind nun in den Armen halten wird, oder vielleicht wieder nicht?
Erst einmal war ich unendlich erleichtert. Mein Körper schaffte es doch noch schwanger zu werden. Von einem Moment auf den anderen fühlte ich mich wieder als Frau. Der positive Test war Balsam auf meine Seele, mehr zählte für mich in den ersten Tagen nicht. Es war die erste gute Nachricht, die uns seit Langem erreichte. Nach Jahren kam mein Lächeln endlich wieder von Herzen.
Darf man sich freuen, wenn man nicht weiß wie es endet?
Die Freude war so anders, als sie sein sollte, wenn ein Paar mit Kinderwunsch endlich einen positiven Schwangerschaftstest in Händen hält.
Mit der 12. Schwangerschaftswoche würden wir unser Kind genetisch testen lassen müssen.
Diese Woche fiel genau auf die Zeit um Weihnachten. Ich sah bereits vor mir, wie ein negatives Ergebnis unser heuriges Weihnachtsfest zur Katastrophe werden lassen würde. Genau das, was wir durch die PID verhindern wollten, würde eintreffen.
Mittlerweile war ich eine Meisterin im Schwarzmalen.
Die Zeit bis zur 12. Schwangerschaftswoche verging schnell. In Gedanken versuchte ich mich nicht zu sehr an dieses Kind zu gewöhnen. Die Angst, vor einem neuerlichen Verlust war grenzenlos.
In der Woche vor Weihnachten hatten wir endlich den Termin zur genetischen Untersuchung. In der Schwangerschaft mit Bastian hatte ich bereits eine Fruchtwasseruntersuchung gemacht, diesmal würde aufgrund des frühen Stadiums der Schwangerschaft eine Chorionzottenbiopsie (Plazentapunktion) durchgeführt werden.
Der Eingriff wurde im Zuge des Ersttrimesterscreenings vorgenommen. Im Moment, als das Ultraschallbild auf dem Monitor erschien, schien die Zeit still zu stehen. Aber ich sah es sofort.
Dieses Mal war die Nackenfalte nicht verdickt.
Es war das erste Indiz dafür, dass diesmal alles gut sein könnte. Auch laut Ärztin wäre alles unauffällig. Unsere Hoffnung war unendlich groß.
Bereits zwei Tage später erhielten wir den erlösenden Anruf. Es war vier Tage vor Weihnachten.
Unser Kind ist genetisch gesund, es ist nicht vom Smith-Lemli-Opitz Syndrom betroffen.
Und es ist ein kleiner Bub.
Ich konnte nicht aufhören zu weinen, diesmal aus Freude und unendlicher Erleichterung.
Ich hatte eine wunderschöne zweite Schwangerschaft. Jede einzelne Sekunde genoss ich. Am Anfang hatte ich sehr viel Angst, die jedoch mit den zunehmend spürbaren Kindsbewegungen weniger wurde. Es war ein unglaubliches Gefühl, diesmal in Gedanken zu leben, dass dieses Kind seinen Weg gesund in unsere Arme und in unser Zuhause finden würde. In der 36. Schwangerschaftswoche hatte ich ein wunderschönes Fotoshooting im Regenbogenkleid, ein Moment, den ich nie vergessen werde.
Ich konnte mein Glück kaum fassen.
Teil 3. Die Geburt.
Leider verlief die Geburt unseres Regenbogenbabys nicht so reibungslos, wie die Schwangerschaft. Nach einer Wehenphase von einigen Stunden fielen die Herztöne unseres Babys von einem Moment auf den anderen drastisch ab.
Auf dem Ulltraschallgerät sah man, wie das Herz unseres Babys nur sehr langsam schlug. Plötzlich befand sich eine Vielzahl an Personen im Kreissaal und es herrschte absolute Hektik. So schnell wie möglich wurde ich in den OP geschoben. Als mir eine Sauerstoffmaske ins Gesicht gedrückt wurde, dachte ich nur mehr, dass das alles ein einziger Albtraum ist.
Am 30. Juni 2020 um 17.50 erblickte unser kleiner Benjamin - zum Glück völlig unbeschadet - per Notkaiserschnitt das Licht der Welt. Und auch wenn ich traurig bin über das Verpassen seines ersten Schreies und der ersten dreißig Minuten seines Lebens, so zählte für mich letztendlich nur, dass er lebendig und wohlauf seinen Weg in unsere Arme gefunden hatte.
In der ersten Nacht nach seiner Geburt, als er atmend auf meiner Brust lag, ohne dass jemand ihn mir wieder wegnehmen würde, hatte meine Seele das erste Mal seit Jahren wieder ihren Frieden.
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Jennysjoplin (Freitag, 23 Oktober 2020 19:57)
Ich freue mich so sehr für euch! Habe schon seit Bastis Geburt mitgefiebert und habe euch immer das Beste gewünscht. Schön, dass ihr jetzt endlich euer Kind in den Armen halten dürft!
Jessica (Freitag, 23 Oktober 2020 20:14)
wunderschön und so ergreifend, ich kann mich in jede einzelne Situation hineinversetzen. Ich wünsche euch als Familie nur das beste! Ich freue mich so für euch und Bastian als großen Bruder ,er wird ein wunderbarer Schutzengel sein. Fühlt euch gedrückt
Kerstin (Sonntag, 25 Oktober 2020 08:20)
Es gehört unendlich viel Mut dazu sich zu öffnen um seine Geschichte zu erzählen. Ich finde du bist eine großartige Frau die trotz vieler Schmerzen nie aufgehört ihren Herzenswunsch zu folgen. Ich freue mich unendlich für dich. ❤️Fühl dich umarmt.
Domi (Montag, 26 Oktober 2020 12:07)
Ich konnte nicht anders als diese Geschichte mit Augen voller Tränen durchlesen. Ich freue mich so sehr auf euer Glück und wünsche Milionen von Tagen, an denen ein Regenbogen am Himmel zu sehen ist ❤❤❤
Mitleserin aus der Schweiz (Mittwoch, 04 November 2020 11:19)
Seit langem lese ich hier mit. Ich habe meinen Sohn im Februar 2020 bei dessen Geburt verloren. Er litt an Trisomie 18. Nun bin ich in der 22. SSW und auch wir dürfen uns auf einen gesunden Jungen freuen. Was habe ich beim Test in drr 12. SSW gebetet, Angst gehabt, gehofft, gebangt, Wut gezeigt - und dann die erlösenden Worte: ein gesundes Kind! Ich fühle mich so verbunden mit deinen Worten und wünsche euch alles Glück und die Gesundheit dieser Welt! Herzliche Grüße aus Bern
Ekaterini (Samstag, 26 Dezember 2020 20:02)
Herzlichen Glückwunsch! Was für eine Freude, endlich ein gesundes Baby! Alles Glück auf Erden für euch und den neuen Erdenbürger. Mama sein ist einfach wunderbar, nun kannst du es in vollen Zügen geniessen ;-D