Liebe Sternenmamis...

 

Heute gehören meine Worte euch.

 

Vor einiger Zeit begannen eure Herzen einen anderen Takt zu schlagen. Einen völlig neuen Rhythmus, den Takt eines kleinen Menschleins, in eurem Bauch. Vielleicht war es der schönste Tag eures Lebens, vielleicht wart ihr ängstlich und unsicher, als ihr den zweiten Strich auf dem Schwangerschaftstest entdeckt habt.

 

Doch ganz bestimmt habt ihr dieses kleine, heranwachsende Wesen vom ersten Moment an geliebt, wie vielleicht sonst noch nie jemanden auf dieser Welt. Ihr habt es mit Liebe behütet, mit Sehnsucht erwartet und mit Freude herbeigesehnt.

 

Mit Sicherheit habt ihr angefangen, euch Dinge vorzustellen, euch auszumalen, wie es sein würde, egal wie früh es noch war.

 

Vielleicht habt ihr angefangen Sachen einzukaufen, plötzlich war die Babyabteilung euer bester Freund.

 

Vielleicht habt ihr begonnen Zimmer einzurichten, in süßer Vorfreude und mit hüpfendem Herz.

 

Vielleicht habt ihr Babyalben gekauft, das erste Jahr, das erste Lächeln und die ersten Schritte.

 

Alles würde festgehalten werden, jede Erinnerung bewahrt, jeder Moment ausgekostet. Denn es war euch eine Aufgabe auferlegt worden: Ein kleines Wesen zu behüten, zu schützen, es zu tragen, seine Mama zu sein.

 

Und ihr wart schon seine Mama und es war euer Kind, vom ersten Augenblick.

 

Vor einiger Zeit habt ihr euch so sehr gesehnt. Nach dem ersten Moment, dem ersten Kennenlernen, dem ersten Blick, der ersten Berührung. Nach tausend ersten Malen.

 

Doch zu den ersten Malen kam es nicht, niemals.

 

Es kommt auch nicht zu Glückwünschen, keine Glückwunschkarten, keine Geschenke fürs Baby, keine Luftballons, keine glücklichen Gesichter, sondern: traurige Eltern, traurige Großeltern, traurige Verwandte, traurige Menschen mit großen Augen und der Ahnungslosigkeit für die richtigen Worte.

 

Heute ist euch als liegt die Last der Welt auf euren Schultern.

 

Heute seid ihr diejenigen mit gebrochenem Herz.

 

Und dieses Herz wird euch immer und immer wieder von Neuem gebrochen.

 

Wenn ihr denjenigen begegnet, die gleichzeitig mit euch schwanger waren und jetzt ihr Baby auf dem Arm halten. Wenn ihr Mütter seht, mit dicken Bäuchen und dem Leuchten in den Augen, das in euch bereits erloschen ist. Mit einer Zuversicht und Gewissheit, von der ihr nun am eigenen Leib erfahren habt, dass es sie in diesem Leben nicht gibt.

 

Wenn ihr mit anderen Müttern sprecht, deren Kinder leben, während eure tot sind und ihr oft das Gefühl habt deshalb nicht als Mutter wahrgenommen zu werden.

 

Wenn ihr Angst habt vor den ungläubigen Blicken, wenn ihr eure Geschichte erzählt.

 

Die Geschichten, die niemand hören will.

 

Denn es sind die Beweise der Zerbrechlichkeit, der Vergänglichkeit, der Unsicherheit, es sind die Geschichten, die euch vor Augen halten: es gibt keinen Boden und keinen Halt. Es gibt kein Oben und Unten, kein Links und kein Rechts.

 

Plötzlich fühlt ihr euch abgeschnitten von der anderen Welt.

 

Der glücklichen Welt. Der normalen Welt. Wo Kinder in ihren Betten liegen, anstatt in einem Grab unter der Erde.

 

Ihr fühlt euch unendlich weit entfernt von Menschen, die kein Kind verloren haben, die diesen Schmerz nie erlitten haben, die keinen blassen Schimmer haben, wie es euch geht. Dann entsteht plötzlich, ganz unsichtbar, eine Art Trennlinie zwischen diesen beiden "Menschenarten".  

 

Heute seid ihr nicht die "Heldinnen des Alltags" - wie die Mütter von lebenden Kindern gerne bezeichnet werden - und die ihr so gerne wärt. Alltag, Normalität, heile Welt, heile Familie, das sind die Sachen, nach denen ihr euch sehnt. Vielleicht kehrt eine Art Alltag oder Normalität irgendwann wieder in euer Leben zurück. Doch wie sieht es mit der heilen Welt aus, dem Gefühl, dass alles gut ist, wenn der, den ihr beschützen solltet, für immer fehlt?

 

Liebe Sternenmamis, meine wahren Heldinnen seid ihr.

 

Ihr seid die, die Übermenschliches leisten müssen. Vielleicht musstet ihr Entscheidungen treffen, die nie ein Mensch treffen soll. Ihr musstet Wörter hören, die eine werdende Mutter niemals über ihr Kind hören sollte. Ihr musstet Tränen weinen, die eine werdende Mutter nie weinen sollte. Ihr seid diejenigen, denen alles genommen wurde: Die Hoffnung, die Zuversicht, das Vertrauen, die Unbeschwertheit, der Glaube. Einen Glauben an das Gute, oder daran, dass alles was passiert einen Sinn hat. Denn was für einen Sinn soll es haben, dass euch für alle Ewigkeit das Herz blutet?

 

Vielleicht hattet ihr nie das Glück, die Augen eures kleinen Lieblings zu sehen, vielleicht hattet ihr nie das Glück, ihn lebendig im Arm zu halten. Vielleicht konntet ihr nie seinen Atem hören, vielleicht hattet ihr nie die Möglichkeit seinen Herzschlag auf eurer Brust zu spüren. Vielleicht habt ihr es nie geschafft, euer Kind mit nach Hause zu nehmen, da wo schon alles für seine Ankunft vorbereitet war. Dinge zu tun, die für andere Mütter selbstverständlich sind.

 

Ihr seid die Mütter mit der leeren Wiege,

die Mütter mit den leeren Händen,

die Mütter mit dem leeren Herz.

die Mütter mit der Babykleidung, die niemand trägt.

Ihr seid die Mütter, die niemand sein will.

 

Jetzt sind es Schmetterlinge und Regenbögen, an denen ihr euch erfreut, anstatt wie andere Mütter an den Fortschritten ihrer Kinder. Wie an einen Strohhalm klammert ihr euch an Erinnerungen, versucht alles festzuhalten, versucht mit anderen über eure Kinder zu reden, auch wenn diese glauben, sie nicht erwähnen zu dürfen um keine Wunden aufzureissen.

 

Vielleicht müsst ihr euch Sätze anhören wie: Mit der Zeit wird der Schmerz leichter. Oder: Ihr seid ja noch jung.

 

Doch ihr seid diejenigen die wissen: Egal wie viel Glück ihr in Zukunft haben werdet, egal wie viele Kinder ihr noch bekommen werdet, eines fehlt immer und wird immer fehlen. Es war ein Kind, das noch seine ganze Zukunft vor sich hatte und es sind tausend Erlebnisse um die ihr gebracht wurdet. Egal wie alt das Baby in eurem Bauch war, ob ihr es lebendig kennenlernen durftet oder nicht.

 

Liebe Sternenmamis, heute will ich euch sagen: jede eurer Geschichten bricht mir das Herz. Ihr seid mutig und tapfer, ihr seid meine Heldinnen.

 

Jede meiner Tränen ist auch für euch.

 

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Kommentare: 7
  • #1

    Eva (Sonntag, 12 November 2017 20:02)

    So treffend und wahr. Da kann ich nur weinen. Fühl dich gedrückt!

  • #2

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Sonntag, 12 November 2017 20:39)

    Dankeschön, liebe Eva!!

  • #3

    Annika (Donnerstag, 16 November 2017 20:08)

    Tränen in den Augen und sprachlos... Einfach wundervoll geschrieben!

  • #4

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Sonntag, 19 November 2017 11:57)

    Vielen Dank, liebe Annika!!

  • #5

    Sabrina (Donnerstag, 08 November 2018 21:50)

    So wahre Worte und so viel Traurigkeit die nur wir sternenmama/Sternenpapas empfinden.

    Und viele falsche Worte die gesagt werden um vermeintlich Trost zu spenden �

  • #6

    Bianca (Donnerstag, 21 März 2019 05:50)

    Dieses Gefühl reisst mir jedes mal aufs neue das Herz aus dem Leib!
    Man stösst auf soviel Unverständnis und es wird erwartet so zu tun als wäre einfach nach einer gewissen Zeit alles wieder gut..
    Aber das ist es nicht!

  • #7

    Elke (Montag, 18 Mai 2020 22:42)

    Dankeschön für deine so wahren Worte. Deine Zeilen sprechen mir aus meiner Seele. Immer wieder lese ich diesen Brief, insbesondere dann, wenn mich die Traurigkeit um meine Tochter packt und unter sich begraben will.
    Danke, dass du mich aufbaust, so wie es niemand kann, der nicht auch dieses Schicksal durchleben muss/musste.
    Alles Liebe
    Elke