Eine neue Welt

"Anstatt mit dir zu gehen..., anstatt mit dir zu reden..., anstatt uns darauf zu konzentrieren, was du nicht kannst..., anstatt dich zu isolieren..., anstatt dich zu bemitleiden..."
"Anstatt mit dir zu gehen..., anstatt mit dir zu reden..., anstatt uns darauf zu konzentrieren, was du nicht kannst..., anstatt dich zu isolieren..., anstatt dich zu bemitleiden..."

 

Anstatt mit dir zu gehen,

wollten wir mit dir kriechen.

Anstatt mit dir zu reden,

wollten wir andere Wege finden,

um mit dir zu kommunizieren.

Anstatt uns darauf zu konzentrieren,

was du nicht kannst,

wollten wir dich für das, was du kannst,

mit Liebe belohnen.

Anstatt dich zu isolieren,

wollten wir Abenteuer für dich erschaffen.

Anstatt dich zu bemitleiden,

wollten wir dich achten.

 

(frei nach Huygen Hilling)

 

Vor elf Monaten begann für uns die schwierigste Reise unseres Lebens. Von einem Moment auf den anderen eröffnete sich uns eine Welt, von der wir nie dachten, dass wir sie je kennen lernen würden. Wir wussten nicht, vor welche Herausforderungen diese Reise uns stellen würde und ob wir drei sie bewältigen könnten. Niemand konnte uns ansatzweise sagen, was auf diesem Weg zu erwarten wäre. Es gab Spekulationen und Vermutungen, deren Inhalt sich je mehr Zeit verging, als immer schwerwiegender herausstellte. So schnell waren alle Hoffnungen und Träume, wie man sich sein Leben und seine Zukunft vorgestellt hat, zerplatzt wie Seifenblasen.

 

Aber es war nicht die Vorstellung, auf einen normalen Tagesablauf und Familienalltag, auf Freizeit und Urlaube zu verzichten. Es waren nicht die schwierigen Behördengänge, von denen man von Eltern mit behinderten Kindern immer las. Es war nicht die Vorstellung sein Kind vor Anderen, die Inklusion nicht als etwas selbstverständliches betrachten, verteidigen zu müssen. Es war nicht das Wissen über die anderen Mütter, die ihren Kindern dabei zusehen würden, wie sie ihre ersten Wörter sprechen, oder ihre ersten Schritte gehen, während das eigene Kind für immer ein Baby bleibt. Es waren nicht die Gedanken an die als so intim beschriebenen Momente der stillenden Mütter, während man selbst erfolglos versuchte, dem eigenen Kind die 5ml Ersatznahrung über eine Nasensonde einzuflößen, ohne dass dies in einem Schreianfall enden würde. Es waren auch nicht die Geburtsanzeigen von "überglücklichen" Eltern, die bereits drei Tage nach der Geburt mit ihren gesunden Kindern den Heimweg antreten durften, während man selbst seit Wochen in unpersönlichen Krankheinhaussälen ums Überleben des eigenen Kindes kämpfte. Und es waren auch nicht die Glückwünsche zur Geburt, die für Eltern von behinderten Kindern oft ausbleiben.

 

All das kann man in Kauf nehmen. Doch was man als Eltern nicht akzeptieren kann, ist das Wissen, sich schon bald von seinem Kind wieder verabschieden zu müssen.

 

Niemand sucht sich aus, Eltern eines behinderten Kindes zu werden. Man wählt sein Kind nicht im Katalog aus, oder kreuzt auf einem Zettel an, was für Attribute dieses Kind haben soll. Und es ist alles andere als selbstverständlich, dass dieses Kind gesund ist. Oft hat man nicht die Wahl. Meistens hat man Glück. Aber nicht immer.

 

Ps: Zum Glück gibt es Menschen, deren Liebe zu ihrem Kind durch keine Behinderung dieser Welt Abbruch getan werden kann. Ich bin stolz, dass wir die Möglichkeit hatten, solche Eltern zu sein. So oft hören Schwangere den Ausspruch "Hauptsache gesund". Elf Monate hatte ich Einblick in eine neue Welt. "Hauptsache glücklich", antworte ich jetzt. 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Sophie (Sonntag, 30 Juli 2017 16:03)

    Liebe Jasmin,
    ...ich ringe noch um Fassung.
    Ich trauere mit euch um euren geliebten Sohn.
    Wie gut würde ich verstehen, wenn ihr euch abschottet vor dieser ungerechten Welt, die euch den wohl größten Schmerz zugefügt hat. Dass Du, aber dich öffnest und deine Gedanken und Gefühle teilst ist ein großes Geschenk. Euer kleiner Schatz wurde von euch nicht nur akzeptiert, sondern angenommen und geliebt. "Es kommt nicht darauf an wieviele Tage unser Leben hat, sondern wieviel Leben in unseren Tagen ist !" dieses Zitat frei nach Alexis Carrel möchte ich um Liebe ergänzen. Ihr habt liebevoll Bastian begleitet und zeigt anderen Eltern, dass jeder über sich hinaus wachsen kann und auch ein kurzes Leben wertvoll ist.
    Deine Sophie

  • #2

    ursula (Montag, 07 August 2017 01:06)

    wir kennen uns nichr und irgendwie doch, ich habe während meiner schwangerschaft deinen blog bereits gelesen, ich hatte eine Tochter mit herzfehler einen seltenen und komplizierten, doch sie hat alles gemeistert, die op ist bestens verlaufen, alles in rekordzeit, dann waren wir zuhause, daheim, alles war gut sie hat sich top entwickelt und dann plötzlich ein schreianfall und keine minute spöter sakt sie zusammen in meinen armen und ist tot, der notarzt konnte nichts mehr tun! es ist unfassbar, alles war scheinbar überstanden, ich kann deine, eure gefühle leider nachvollziehen, aber wir hatten das geschenk unsere kinder kurz zu haben und das ist trotzdem unglaublich schön!!!

  • #3

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Sonntag, 13 August 2017 17:03)

    Liebe Sophie!

    Wir haben schon persönlich geschrieben und uns ausgetauscht. Trotzdem will ich dir auch hier noch einmal sagen, dass ich dir für deine Unterstützung und dein Mitgefühl danke! Es freut mich, dass du meine Seite/ Beiträge auf deiner eigenen Seite teilst und so für viel mehr Menschen, die dieses Thema bewegt, zugänglich machst!

    Liebe Grüße an dich, Jasmin

  • #4

    Jasmin (280 Tage Bauchgefühl) (Sonntag, 13 August 2017 17:20)

    Liebe Ursula!

    Vielen Dank, dass auch du deine Geschichte so ehrlich mit mir teilst! Es tut mir furchtbar leid, dass du ebenfalls einen solch schweren Schicksalsschlag erleiden musstest! Es ist schrecklich, wie unvorbereitet es dich traf, wo doch scheinbar schon alles überstanden war! Du hast recht, auch wenn es fürchterlich weh tut, bleibt uns im Herzen doch ein so schönes Gefühl, wenn wir an unsere kleinen Schätze denken!

    Ich wünsche dir ganz viel Kraft!
    Liebe Grüße,
    Jasmin