Mit den ersten Zeilen dieses Beitrags begann ich bereits gestern Abend. Doch zu mehr als zwei Sätzen kam ich nicht - denn das Leben ist bekanntlich das, was passiert, wenn man Pläne schmiedet. Hinter uns liegt eine mehr als aufregende Woche. Unser Kleiner ist schon fast drei Monate alt und die letzten Tage waren wieder einmal nicht nur für uns anstrengend, sondern besonders auch für ihn. Doch neben all dem Chaos, das uns diese Woche wiederfuhr, erlebte ich etwas, nach dem ich mich schon so lange gesehnt hatte, und das für immer in meinem Herzen und in meiner Erinnerung bleiben wird.
Doch erst einmal von ganz vorne.
So wie jeden Tag kamen wir um ca. 11 Uhr auf die NICU. Wir warteten neben dem Bett unseres Kleinen auf die zuständige Krankenschwester, die uns über den momentanen Gesundheitszustand und über die vergangene Nacht unseres Buben informieren sollte. Doch nach 10 Minuten betrat die Oberärztin unser Zimmer. "Ich habe gute Nachrichten! Sie bekommen ein Mutter-Kind-Zimmer. Packen Sie alles zusammen, in einer Stunde geht es los." Wir konnten beide nicht so ganz glauben, was wir da hörten. In den ganzen 12 Wochen war nie davon die Rede, dass unser Bub auf eine andere Station verlegt werden würde, abgesehen von einem kurzen Gespräch vor ein paar Tagen, fast im Vorbeigehen, mit einem Arzt. "Es kann sein dass B. irgendwann auf eine andere Station verlegt wird. Er braucht nicht mehr so viel Intensivtherapie. Später einmal könnten Sie möglicherweise ebenfalls mit ihm aufgenommen werden."
Nun wurde uns gesagt, dass es bereits in einer Stunde losgehen sollte und ich als Begleitperson mit unserem Kleinen aufgenommen würde. Ich konnte es nicht fassen. Nach 12 Wochen würde sich nun endlich erfüllen, was ich mir schon so lange gewünscht hatte. Die erste gemeinsame Nacht mit meinem Kind. Während bei mir die Tränen vor Freude nur so kullerten, war mein Freund skeptisch. Der Kleine war in letzer Zeit nicht gerade besonders stabil, er hatte Probleme mit der Sauerstoffsättigung und der orale Ernährungsaufbau hatte immer noch nicht geklappt. Die IMC - Eine Intermediate Care Station, auf die B. kommen sollte, war schließlich keine Intensivstation mehr, die unser Bub seiner Meinung nach jedoch immer noch dringend benötigte. Nach unzähligen Infektionen und fast täglichen Schwankungen im Blutgas sah er B. auf der Intensivstation einfach am besten aufgehoben. Auf der IMC - eine Art Übergangsstation von der Intensiv zum nach Hause gehen - würde nicht mehr so engmaschig kontrolliert werden.
Außerdem hängten für uns tausende Erinnerungen an der Zeit in der NICU. Hier war B. bereits seit seinem zweiten Lebenstag und hier hatten wir so viele Tränen geweint, doch auch so viele Emotionen und besondere Momente erlebt. Hier hatten wir bereits unsere täglichen Rituale und einen geplanten Tagesablauf.
Doch nun war keine Zeit für einen Abschied. Nicht von dem Ort, an dem B. sein bislang ganzes Leben verbracht hat, nicht von den Schwestern mit so viel Fingerspitzengefühl für zu früh oder krank geborene Kinder.
Wir packten die unzähligen Stofftiere und das Babygewand zusammen, während unsere Gefühle Achterbahn spielten. B. würde endlich von der Intensivstation wegkommen. Ein Schritt Richtung nach Hause, ein Meilenstein auf unserem bisherigen Weg. Doch vor allem die erste Nacht mit meinem Baby an meiner Seite. Endlich neben ihm einschlafen und morgens neben ihm aufwachen. Ich konnte es nicht glauben, endlich müsste unser Kleiner nicht mehr Nachts alleine sein. Seine Mama würde endlich auf ihn aufpassen können.
"Es geht los", sagte die zuständige Krankenschwester. "Wir sind bereit für den Transfer". Es ging weg von der Kinderklinik, hinüber ins Hauptgebäude. Es war ca. 2 Uhr Nachmittags, als wir in unserem gemeinsamen Zimmer angekommen waren. Hier war alles anders. Die Monitore, an denen wir auf der NICU die Werte unseres Kindes ständig verfolgen konnten, wurden hier auf Privacy-Modus gestellt. Die Eltern sollten lernen, den Zustand des Kindes an anderen Parametern zu erkennen, als durch Zahlen auf einem Bildschirm. B. war mitsamt seinen Infusionen transportiert worden, doch bereits die erste zuständige Schwester war mit der besonders intensiven Betreuung unseres Kindes sichtlich überfordert. "Normalerweise kommen Kinder in seinem Zustand nicht zu uns", sagte sie mir, und den selben Satz hörte ich zwei Tage später von einer anderen Person noch einmal. Langsam wurde auch ich ein bisschen skeptisch, ob der Transfer auf die IMC wirklich die richtige Entscheidung war. Doch das alles blieb für mich momentan nur zweitrangig. Ich würde heute das erste Mal neben meinem Kind einschlafen.
Mein wundes Herz würde heute Nacht ein bisschen geheilt werden.
"Die ersten beiden Nächte sind die Schlimmsten", sagte man mir bei einer Führung durch die Station. Ich kam wirklich überhaupt nicht zum Schlafen. Alle drei Stunden bekam B. sein Essen. Um 24 Uhr wurden die Infusionen gewechselt. Die Milch, die er über die Ernährungspumpe bekommen hatte, war jeweils eine Stunde später zu Ende. Jede Infusion die zu Ende ging, meldete sich lautstark. Es dauerte jedes Mal eine gefühlte Ewigkeit, bis jemand vorbei kam, um die Alarme zu beenden. Zwei Mal nachts war Pflege angesagt. Außerdem reagierte ich auf jedes Geräusch der Sauerstoffbrille - B.s Atemunterstützung - an dem ich erkannte, wann er munter wurde. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Doch das Gefühl, nachts auf meinen kleinen Buben aufpassen zu können und ihn endlich neben mir zu haben, war unbeschreiblich. Es machte jegliches Intensivstation-Feeling neben meinem Bett wett. Vom Anblick meines kleinen Buben im Beistellbett konnte ich mich nicht satt sehen.
In den nächsten beiden Nächten nahm ich Oropax und wollte mich von der Krankenschwester nicht stören lassen. Ich musste diese Nacht dringend schlafen, sonst halte ich das Ganze neben der sowieso schon wahnsinnigen Anspannung und der unfassbar großen Angst nicht lange durch. Seit wir auf dieser Station waren, ertönte so gut wie jedes mal, wenn die Krankenschwester den Raum betrat und den Monitor, an dem B. hängte, auf sichtbar schaltete, der Alarm, dass die Sättigung zu niedrig sei. B. war bereits auf über 60 Prozent Sauerstoff. Doch egal wie viel O2 aufgedreht wurde, seine Sättigung besserte sich nicht.
In der dritten Nacht konnte ich wirklich am besten Schlafen. Ich hatte gelernt, die Umgebungsgeräusche und die sich dauernd neben meinem Bett befindende Krankenschwester ein bisschen auszublenden.
Dass die dritte Nacht auf der IMC, die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, die vorerst letzte sein würde, in der ich neben meinem Kind einschlafen und aufwachen würde, ahnte ich da noch nicht. Denn am Donnerstag, 13. Juli um kurz nach 23 Uhr, ich hatte bereits die zwei Sätze zu meinem neuesten Blogbeitrag geschrieben, fielen folgende Worte: "Ihr Kind hat erhöhte Infektionswerte. B. muss zurück auf die NICU."
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