"Die Nackenfalte ist leider sogar 3,7mm breit. Außerdem haben Sie zu viel Fruchtwasser und ich kann das Herz nicht gut sehen, obwohl das Kind richtig daliegt." Auf dem Bildschirm erscheinen Berechnungen: Wahrscheinlichkeit für Trisomie 21: 1:34, Trisomie 13 und 18 sogar 1:12. So hohe Risiken finde ich bei anderen Betroffenen im Internet kaum. Ab einem Ergebnis von 1:300 werden invasive Eingriffe empfohlen. So auch uns: "Ich kann Ihnen gleich für morgen einen Termin für eine Chorionzottenbiopsie vereinbaren, dann haben Sie Gewissheit, ob eine Trisomie vorliegt. Dieser Eingriff ist jedoch leider mit einem Risiko von 1:100 verbunden, dass eine Fehlgeburt ausgelöst wird."...
Wir sind zum Glück noch so weit bei Sinnen, dass uns bewusst ist, dass uns das Ganze zu schnell geht. Erkundigen uns aber trotzdem, wie rasch wir einen neuen Termin bekommen würden, wenn wir uns doch für die Plazentapunktion entscheiden sollten. "Jederzeit", meint der Pränataldiagnostiker. Wir fragen noch nach dem mir vor der Ulltraschalluntersuchung abgenommenem Blut und ob dies am negativen Ergebnis noch etwas ändern könnte. "Leider kaum", ist die Antwort. So beschließen wir auf das Blutergebnis, das erst in einer halben Stunde ausgewertet wäre, nicht mehr zu warten und verlassen völlig aufgelöst die Praxis. Dieser Tag ist mir als Schlimmster meines bisherigen Lebens in Erinnerung, auch wenn mir in der nächsten Zeit noch einige niederschmetternde Diagnosen bevorstanden. Es traf uns einfach aus dem Nichts. "Ich schaffe das, sage ich zu meinem Freund auf dem Heimweg. Es tut mir nur leid, dass du so etwas erleben musst."
Immer wieder lese ich Berichte im Internet, die sich anhören als wären es meine eigenen. Der positive Schwangerschaftstest als Beginn einer großen Liebe- der zum eigenen Baby. Der Wunsch und die doch so große Zuversicht, dass das Baby gesund ist. 97 von 100. "Hauptsache das Baby ist gesund", als leicht dahergesagte Floskel. Natürlich ist das Kind gesund, dachte ich, wieso denn auch nicht. Die Augen gerichtet auf den Ulltraschall, "Alles okay", möchte man hören. Doch es tritt nicht ein. Das Baby ist nicht gesund, es gehört zu den 3 von 100 bei denen nicht alles okay ist. Möglicherweise gehört es sogar zu den 1 zu irgendetwas-1000 (variierend nach dem Alter der Mutter) Kindern mit Trisomie 13 oder 18, mit nur geringen Überlebenschancen nach der Geburt, wenn es nicht bereits im Mutterleib verstirbt.
Ich weiß nicht mehr, ob ich mein Baby je kennenlernen werde. Die nächsten zwei Wochen sind für mich wie ein tiefes, schwarzes Loch. Wir beschließen uns Unterstützung zu holen und vereinbaren uns einen Termin im Nanaya- Zentrum für Schwangerschaft, Geburt und Leben mit Kindern im 7. Bezirk in Wien. Wir suchen nach einer Entscheidungshilfe, ob wir das Risiko des invasiven Eingriffs in Kauf nehmen, oder darauf hoffen wollen, dass der Fetus sich im Laufe der nächsten Wochen positiv entwickelt.
"Ich habe schon Feten gesehen, die mit 5cm sehr auffällig wirkten, mit 8cm jedoch normal"- An diesen Satz, der mir der Pränataldiagnostiker bei einem Telefonat am nächsten Tag nach der Untersuchung gesagt hatte, klammern wir uns wie an einen Strohhalm. Der Termin im Nanaya holt uns aus der ersten tiefen Krise heraus. Wir haben für die Entscheidung alle Zeit der Welt, sollen nichts überstürzen und uns von niemandem zu etwas drängen lassen.
Wir entscheiden uns gegen die Chorionzottenbiopsie, das Risiko einer Fehlgeburt ist uns zu diesem Zeitpunkt zu hoch. Unser Baby ist gerade einmal 4,5 cm groß, es wächst in den kommenden Monaten noch um ein Vielfaches, vielleicht ändert sich alles zum Guten, denken wir. Zehn Wochen später werde ich trotzdem einen invasiven Eingriff durchführen lassen, wovon ich im Oktober noch nichts ahne.
Das mit dem ersten Baby sei etwas ganz Besonderes, sagte man mir. Ich fühle, dass das stimmt. Bei aller Hoffnungslosigkeit, die ich zu diesem Zeitpunkt schon erlebt hatte und den Unsicherheiten und Ängsten, die mir noch bevorstanden, war es immer dieses kleine Ding in meinem Bauch, dass mir - obwohl es doch letztendlich Anlass der ganzen Sorgen war- trotz allem stets ein Gefühl der Ruhe und Zuversicht bescherte.
Kommentar schreiben